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Eine kleine Unterscheidung von „innen“ und „außen“ kirchlicher Veränderungsprozesse durch hypnosystemische Anregung.

„Wir müssen innovativer werden“. „Wir müssen die 90% erreichen, die wir jetzt noch nicht erreichen“. „Wir brauchen ganz neue und andere Angebote, um die Botschaft an den Mann zu bringen“. „Wir müssen an die Hecken und Zäune“. „Der Klimawandel ist kein Randthema für uns“. „Die Ressourcen sind knapp und schwinden immer mehr“. „Das alte geht nicht mehr“…
Kirche ist unter Druck, könnte man sagen. Oder zumindest ist die Situation eher eine belastende als eine befreiende. Wenn man dann noch Missbrauchsskandale, Finanzsituationen, Auseinandersetzungen auf theologischer Ebene mit in die Gesamtbetrachtung nimmt, ist Kirche wirklich arm dran. Sozusagen in Burn-Out-Gefahr. Egal, was man macht, die Mitgliederzahlen sinken. Die Finanzen gehen den Bach runter – und kaum hat man an einer Ecke einen kleinen Lichtblick, beschwört jemand von anderer Seite dunkle Wolken herbei.

Von solchen Grenzerfahrungen berichten auch Protagonisten mancher neuen Wege in der Pastoral. Mit voller Kraft rein ins Neue; erfolgreich innovative Projekte aufgesetzt, aber schon recht zügig kommen die eigenen Ressourcen an ihre Grenzen und es gibt keinen Nachschub von außen. (vgl. Citypastoral Fulda, beschrieben auf katholisch.de).

In den letzten Wochen habe ich mir Audioaufnahmen von einer Fortbildung mit Gunther Schmidt wieder einmal angehört. „Vom Burnout zur hypnosystemischen Balance-Kompetenz“, so war die Veranstaltung, an der ich im Jahr 2016 teilgenommen habe, betitelt. Inspiriert davon ist der Vergleich der Burnout-Situation einzelner mit dem der Kirche. Auch wenn man sicherlich darüber streiten kann, ob der Burn-Out-Vergleich angebracht ist oder nicht. Aber von Belastung kann man sicherlich reden.

Wahrscheinlich ist diese Inspiration unterfüttert von zwei Aspekten meiner eigenen Verarbeitung kirchlichen Daseins: Ich habe noch nie ganz verstanden vom wem die Rede ist, wenn es heißt „wir“ (vgl. oben „wir müssen…“) und gemeint ist damit die Kirche (ganz egal, wer da spricht, ob Bischof, Pfarrer, Gemeindemitglied). Es wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass „die Kirche“ als Subjekt immer klar beschreibbar ist, trotz der Unterschiedlichkeiten innerhalb der Organisation (Hierarchie, Hauptamt, Ehrenamt, Kirchenmitglieder, Getaufte, Engagierte,…) und grundsätzlich von der Begrifflichkeit „Kirche“ her.
Zudem kann ich zwar inhaltlich bei vielen Aspekten der Veränderung mitgehen (Innovation, alte Muster überwinden), aber ich war noch nie ein Freund von Aktionismus und schon mal gar nicht von Event-Kultur. Das sei mir nachgesehen.

Zurück zu Herrn Schmidt, besser zu hypnosystemisch.
Systemisch heißt ja (neben anderen Aspekten, die ich hier der Kürze wegen vernachlässige): Soziale Systeme (dazu gehört ja auch Kirche, aber auch der einzelne Mensch, Familien, Pfarreien… etc) sind primär über ihre Interaktionen mit relevanten Umwelten zu beschreiben. Systeme müssen sich abgrenzen, um sich überhaupt zu definieren und überlebensfähig zu sein. Und schon an dieser Stelle beginnt Interaktion mit der Umwelt/den Umwelten.
Wenn sich ein System verändern soll, dann geht das nur über die Interaktionen der sozialen Systeme. Dazu hilft nicht ein „Verändere dich“. Nur über die Spielregeln, über die Kommunikation kann die Wahrscheinlichkeit für Veränderungen erhöht werden.
Der aktuelle Ansatz kirchlicher Veränderungen scheint sich unter „Für wen sind wir da“ (zumindest nehmen viele Bischöfe und Pastoraltheologen diese Formulierung in den Mund) ein wenig zusammenfassen zu lassen und beschreibt genau diese Veränderung der Interaktion zu relevanten Umwelten der Kirche. Scheinbar versucht man durch veränderte Kommunikation (auf allen Kanälen inkl. Social Media) sich selbst zu verändern, in dem man nach außen wirkt: Bessere Angebote (auch eine Form von Kommunikation), bessere Selbstdarstellung, bessere Mitarbeiterinnen, … alles besser nach außen hin. Und gemacht werden soll das alles von „innen“, also von „der Kirche“. Natürlich ist die Unterscheidung von innen und außen hier aber unscharf und schließt sich vielleicht meiner Wahrnehmung vom kirchlichen „wir“ an. Es sprechen meist Bischöfe, Priester, Theologinnen oder Berater*innen oder andere „Experten“ über diese erforderlichen Veränderungen. Aber keiner weiß so genau, wer jetzt für wen da sein soll und welche Grenzen damit gezogen werden.

Klar ist: Wenn ein System unter Druck steht, also besser gesagt die Wahrnehmung der Umstände so deutet, dass ein Erleben von „Druck“ generiert wird, dann scheint doch fraglich, ob es hilfreich ist, noch mehr Druck durch weitere Anforderungen zu erzeugen i.S.v. „das musst du auch noch tun! Sei anders, und kümmere dich um die anderen.“

Selbstverständlich gehört zur christlichen Botschaft zentral der Blick auf den anderen. Und die Kirche (ich nehme diesen Begriff mal ganz entspannt in seiner Undifferenziertheit) hat die Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Christen diesem Teil der Botschaft Jesu gerecht werden können, sowohl formal organisiert als auch ganz „normal“ im Alltag.
Und Ja, es gilt im Veränderungsprozess nicht nur Nabelschau zu betreiben, sondern sich der eigenen (kirchlichen und individuell christlichen) Sendung bewusst zu werden. Und dazu braucht es natürlich auch Angebote, Innovationen, etc.
Aber vielleicht noch nicht gleich.
Prozesse haben ja den Vorteil, dass eins nach dem anderen kommen kann, nichts für ewig bleiben muss, sondern sich im Blick auf das größere Ziel weiterentwickeln darf.

Vielleicht bietet sich daher ein Aspekt an, den ich angeregt von Gunther Schmidt ins Spiel bringen will.
Wenn du unter Druck bist, macht es keinen Sinn den Blick sofort und nur auf die relevanten Umwelten zu richten, wenn dadurch noch mehr Druck entsteht. Der Druck entsteht durch die Erzeugung von Bedeutung in der Verarbeitung der Außenreize (Mitgliederschwund, Relevanzverlust, Ressourcenknappheit aller Art etc). In Drucksituationen ist es nicht hilfreich noch mehr Druck zu erzeugen, sondern zuerst für Entlastung zu sorgen. Das wird mit der Frage „Für wen sind wir da“ schwierig.
So könnte es hilfreich sein, sich zuerst nach innen zu wenden, um andere Wahrnehmungsmuster zu suchen, zu finden, zu generieren – wie auch immer – die in der Verarbeitung der Außenreize andere Bedeutungen generieren. Schmidt spricht im Blick auf die Person von neuronalen Netzwerken/Mustern, für die Kirche passt vielleicht eher der Begriff von Peter Senge „mentale Modelle“.

Wenn es gelingt im Blick auf das höhere Ziel – z.B. die Wirksamkeit der befreienden Botschaft Jesu vom Reich Gottes in der Welt zu erhöhen – in der Kirche eine andere Kommunikation, andere Spielregeln, andere mentale Modelle zu entwickeln und wirksam werden zu lassen, dann ist die Chance größer, dass der empfundene Druck nachlässt und wieder Kraft und Energie da ist, in angemessener Weise auf die Welt, die Gesellschaft, das Außen, die Hecken und Zäune zuzugehen. Und natürlich werden sich die Kommunikation, die Spielregeln und die mentalen Modelle an der entscheidenden relevanten Umwelt orientieren: Der befreienden Botschaft Jesu.
Ich schlage vor, sich dialogischer Kommunikation (ganz im Sinne von David Bohm und Hartkemeyer) zuzuwenden. Für die hauptamtlich pastoralen Mitarbeiter empfiehlt sich die Lektüre von Dorothea Steinbach und eine praktisch orientierte Ausrichtung am Effectuation-Kozept von Faschingbauer, damit das Volk Gottes ein wenig mehr polynesisch Segeln lernt.

Photo by Daniel McCullough on Unsplash

Lass segeln...

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